Soweit ich der Presse entnehmen konnte, haben die gestrigen Berichterstatter sich zum Teil zwar mit der Frage beschäftigt, wie die jährlichen Tributleistungen, die Abzahlungen auf die Freiheitsschuld durch 37 Jahre zu 80 Millionen Kè jährlich, gedeckt werden sollen, aber nur in der Richtung, daß sie erklärten - besonders erinnere ich mich des Ausspruches des Koll. Dr Macek - daß durch die jetzige Lösung der Reparationsfrage die Gefahr der Bedrohung der Stabilität des Staatsvoranschlages abgewendet wurde. Koll. Dr Hnídek wieder hat sich dahin geäußert, daß die Frage zu erörtern und zu entscheiden wäre, ob diese 80 Millionen Kè unterzubringen wären im Kapitel 22 des Staatsvoranschlages "Allgemeine Staatskassenverwaltung" oder aber der allgemeinen Staatsschuld zuzuschlagen und dort zu verrechnen, zu amortisieren und zu verzinsen wären. Ich bezweifle, daß mit diesen Ausführungen der Öffentlichkeit gedient ist. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat mit Recht erwartet, daß sich die Herren Berichterstatter mit der Frage beschäftigen, aus welchen Mitteln diese Tributzahlungen abgedeckt werden. Denn wenn man immer wieder von der Konsolidierung spricht, wenn man davon spricht, daß das Verhandlungsergebnis ein befriedigendes Resultat erzielt hat, so darf doch schon mit Rücksicht auf die Wirtschaftskrise, in der wir stehen, nicht den Steuerträgern zugemutet werden, daß eine neue Steuerlast von 80 Millionen Kè auf ihre Schultern gewälzt wird, und es wäre begrüßenswert zu erfahren, ob sich die Herren Berichterstatter innerhalb der Parteien der Regierungskoalition dahingehend geeinigt haben, dafür einzutreten, daß unter allen Umständen diese jährlichen Tributleistungen von 80 Millionen Kè durch Abstriche im Rahmen des Staatsvoranschlages abgedeckt werden. (Posl. dr Macek: To se pøece stalo!) Das ist nicht geschehen, weil Herr Dr Hnídek erklärt hat, daß sie der Staatsschuld zugeschlagen werden; erst wenn ein Berichterstatter auftreten und sagen wird: Dieser Betrag von 80 Millionen Kè wird z. B. in Zukunft abgedeckt werden durch Herabsetzung des Militärbudgets von 1400 auf 1320 Millionen Kè, dann erst wird die Bevölkerung die Gewähr haben, daß dieser Betrag wirklich aus Ersparnissen abgedeckt wird. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es auch vielleicht irreführend ist, von der Abwendung der Bedrohung der Stabilität des Voranschlages überhaupt zu sprechen, weil ich vor wenigen Monaten von dieser Stelle aus nachweisen konnte, daß die sogenannte Stabilität des Staatsvoranschlages für das Jahr 1930 nur künstlich der Bevölkerung vorgetäuscht wurde, indem man eine Post und zwar einen nicht gar so geringfügigen Betrag von über 337 Millionen Kè einfach aus dem Staatsvoranschlag hat verschwinden lassen, und zwar ist es jener 45 % ige Betrag der Überweisung der Verkehrssteuer zu Investitionszwecken der Staatseisenbahnen. Das ganze Jahr vorher wurde die Verkehrssteuer in ihrem vollen Umfange im Voranschlag als Einnahme gebucht, und die bis zum Vorjahre 22 % ige Überweisung an die Staatsbahnen als Ausgabe ausgewiesen. Heuer haben wir zum erste nmal erleben müssen, daß man die Verkehrssteuer nicht in ihrem vollen Umfange im Betrage von 760 Millionen Kè als Einnahmspost eingesetzt hat, sondern um einen um 337 Millionen Kè herabgesetzten Betrag, und die Überweisung erfolgte auch nicht mehr auf der Ausgabenseite, sondern, wenn man das Kapitel "Staatseisenbahn" aufschlägt, findet man dort nur einfach die Überweisung des Betrages von 337.5 Millionen Kè aus dem Ertrage der Verkehrssteuer verzeichnet. Nur durch diesen Trick war es möglich, von einer Stabilisierung des Voranschlages überhaupt zu sprechen, weil bei einer richtigen Einsetzung dieses Betrages in den Voranschlag wir schon heuer zu einem um rund 400 Millionen höheren Staatsvoranschlage gelangt wären. Ich fürchte, daß die Abdeckung der 80 Millionen Kè Freiheitsschuld wieder in einer ähnlichen Art und Weise erfolgen wird, so daß die Bevölkerung weiter in dem Wahn leben wird, daß dieser Betrag durch Ersparnisse abgedeckt wird, während er in Wirklichkeit durch eine Erhöhung der Lasten hereingebracht wird.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die ganzen Jahre hindurch, wenn wir die Vertreter des Finanzministeriums zur Rechenschaft aufgefordert haben, warum denn zwischen den einzelnen Staatsvoranschlägen und dem Staatsabrechnungsabschluß so große Unterschiede auftauchen und zwar Unterschiede, die sich oft auf der Einnahmenseite auf 1.8 Milliarden Kè belaufen haben, da erklärte man uns, daß man mit Rücksicht auf die noch unbekannte Höhe der Freiheits- und Reparationsschuld einen gewissen Fond schaffen müsse, daß man Reserven schaffen müsse, um dann zur Abdeckung dieser Reparationsschuld die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu haben, um nicht die gesamte Volkswirtschaft in Gefahr zu bringen. Nun, wo sind diese Reserven, die im Laufe der Jahre aus diesen Übereinnahmen von fast 2 Milliarden jährlich geschaffen wurden? Man hat aber auch Jahre hindurch, besonders im ersten Jahrfünft, immer darauf hingewiesen, daß die Kriegsanleihefrage vorläufig noch nicht einer gerechten Lösung im Interesse der Kriegsanleihebesitzer zugeführt werden könne, weil die drohenden großen Reparationslasten eine so große finanzielle Transaktion nicht ermöglichen. Nunmehr ist es auf Grund der Äußerungen des Herrn Außenministers gelungen, diese Reparationslasten auf wenige Prozente des angeblich von ihm erwarteten Betrages herabzusetzen, es sind die Reserven freigeworden und es wäre höchste Zeit, daß sich die Regierungsparteien, und zwar die deutschen wie auch die èechischen Regierungsparteien, mit der Frage beschäftigen, nunmehr eine Vorlage auszuarbeiten, auf Grund welcher es ermöglicht werden könnte, zu einer gerechten Lösung der Kriegsanleihefrage zu gelangen. Ich behaupte, daß durch eine solche gerechte Lösung der Kriegsanleihefrage auch ein Teil der Wirtschaftskrise, in der wir stehen, sowohl der Agrarkrise als auch der Industriekrise, überwunden werden könnte.
Im Verlaufe der ganzen Verhandlung in Paris und im Haag sahen sich die èechischen Vertreter, die sonst immer für die Unantastbarkeit der Friedensvertragsbestimmungen eintreten, in Angelegenheit der Bodenreform am meisten bedroht durch die ungarische Auslegung des Artikels 250 des Trianoner Friedensdiktates und strebten die Außerkraftsetzung dieses Artikels an. Es muß geradezu als eine Ironie des Schicksals bezeichnet werden, daß in diesem Falle wieder die ungarischen Vertreter sich energisch diesem Streben nach einer Revision widersetzten. Dr Beneš tröstete sich zum Schlusse mit dem Hinweis darauf, daß man schon deshalb nicht auf der Außerkraftsetzung dieses Artikels beharrt habe, damit nicht überflüssigerweise und zu unrecht von einer "Revision des Friedens von Trianon" gesprochen werden könne. Er beruhigte die Öffentlichkeit mit der Feststellung, daß, wenn Ungarn auch auf diesen Artikel nicht verzichtet habe, dieser Artikel von Ungarn nach seiner Überzeugung zu Unrecht gegen die Èechoslovakei ausgenützt worden wäre und dieser Artikel nunmehr via facti wertlos werde, also absterbe.
Aus dieser letzten Äußerung ersehe ich auch bei Dr. Beneš die langsam reifende Erkenntnis, daß von einer Unabänderlichkeit der Friedensdiktates, wie er es immer als die Grundlage der Aufrechterhaltung des Friedensdiktates verkündet hat, auf die Dauer nicht die Rede sein könne, da doch die praktischen Erfordernisse der Weiterentwicklung in der Welt noch jedes Siegerdiktat außer Kraft gesetzt haben. Auch die Pariser Vorortediktate werden diesem Schicksale nicht entgehen und wäre es nur im Interesse der europäischen Völker zu erhoffen, daß die Kriegsdiplomatie, die scheinbar unfähig ist, mit den Gedankengängen neuer Entwicklungsmöglichkeiten sich vertraut zu machen, abgelöst werde von einer wirklichen, europäisch denkenden Diplomatie, die ihre Grundlage nicht in den toten Pergamenten des Jahres 1919, sondern in den unversiegbaren Kräften der Völker sucht und findet, deren Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern, deren glückliches Schicksal zu formen, doch die wahre Aufgabe weitblickender Staatsmänner sein müßte.
Wir Sudetendeutschen sind bereit, an den Grundlagen einer solchen Politik mitzuarbeiten. Aber die von Dr Beneš geführte èechische Außenpolitik steht zu diesen Auffassungen im scharfen Widerspruch, wie dies ja besonders die Schlußworte seines großen Exposés erweisen, in welchem er davon spricht, daß alle verehrten Damen und Herren in diesem Hause ihre Zustimmung zu den Verträgen erteilen können, weil diese Verträge die Liquidation des Krieges und, wie er weiter sagt, angeblich auch die Versöhnung und Zusammenarbeit, aber auch die Bestätigung des großen Werkes der nationalen und staatlichen Befreiung bedeutet. Meine Herren! Wir 3 1/2 Millionen Sudetendeutsche haben von einem solchen Befreiungswerk im Laufe der letzten 11 Jahre nichts bemerkt; und es ist eine ganz merkwürdige Zumutung, von uns auf Grund dieser Ausführungen die Zustimmung zum Haager und Pariser Abkommen überhaupt auch nur zu fordern.
Es ist daher selbstverständlich,
daß wir, nachdem die außen- und innenpolitische Auffassung Dr.
Benešs zu unseren Auffassungen, wie ich sie hier in meinen
Ausführungen niedergelegt habe, in schärfstem Widerspruch steht,
und sich auch die Innenpolitik in diesem Staate über die Tatsache
hinwegsetzt, daß dieser Staat von einer Reihe von Völkern bewohnt
wird, die fast 50% der Bevölkerung ausmachen, ohne daß sie zum
èechischen Volksstamm gezählt werden können, diese von Dr. Beneš
vertretene Politik aufs schärfste verurteilen und uns daher auch
gezwungen sehen, die in Verhandlung stehenden Vorlagen abzulehnen.
(Potlesk.)
Hohes Haus! Zweifellos sind die Beschlüsse von Haag und die Abmachungen von Paris als ein Fortschritt zu buchen und sie bedeuten, wogegen auch ernstlich keine Einwendung erhoben werden kann, einen Erfolg für die èechoslovakische Außenpolitik. Was wir insbesondere begrüßen oder weshalb wir den Beschlüssen zustimmen, ist der neue Geist, der sich darin ausdrückt. In den letzten 11 Jahren haben wir an unserem Leibe verspürt, haben wir erlebt, was Haß anrichten kann, was Gewalt und Rachepolitik für Verheerungen hervorrufen kann. Das, was man im Jahre 1919 der Welt als Friedensgesetz gegeben hat, das war zunächst, wie das einmal Clemenceau in der französischen Kammer ausgedrückt hat, eine Fortsetzung des Krieges in einer anderen Art. Es mußten erst schwere wirtschaftliche Erschütterungen eintreten, es mußten die Staaten und Völker bis an den Rand des Abgrundes gebracht werden, ehe man auf jene hörte, die schon im Jahre 1919 darauf verwiesen, daß von dem Geist abgewichen werden muß, der die Grundlage des Friedensvertrages bildete. Ich erinnere daran, daß im Jahre 1919 ein englischer Volkswirtschaftler, der an den Friedensverhandlungen teilgenommen hat, Keynes, erklärte, daß der in Paris zustandegekommene Friedensvertrag in vielen Teilen unausführbar sei, der dann auch einige Monate später aufzeigte, wie notwendig es schon aus rein wirtschaftlichen Gründen ist, von den dort festgelegten Verpflichtungen für die besiegten Staaten abzuweichen. Er hat mit seiner Auffassung rechtbehalten. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda Roudnický.) Man mag noch so oft davon sprechen, daß die Friedensverträge vom Jahre 1919 unantastbar seien: für die Ewigkeit sind sie nicht geschaffen, und genau so wie man durch die harten Tatsachen gezwungen gewesen ist, Zusatzverträge zu schaffen, die manches mildern, was in den Friedensverträgen enthalten ist, so wird man auf dieser Bahn vielleicht noch manches zu tun gezwungen sein, woran man heute noch nicht denkt.
Aber, wie schon gesagt, wir stimmen den Abmachungen, über die das Parlament zur Zeit verhandelt, zu und billigen die Politik, die im Haag und Paris von unserem Ministerium des Äußern vertreten worden ist. Wir sehen darin ein Ergebnis jener Wandlungen, die sich in der Denkweise der Menschen doch vollzogen hat, wir sehen darin die Anerkennung der immer und immer wieder auch von der sozialistischen Welt behaupteten Tatsache, daß man noch viel zu tun hat und daß noch viel geschehen muß, ehe man von einer wirklichen Befriedung der Welt sprechen kann, daß wir vor allem anderen noch viel tun müssen, wenn wir aus den wirtschaftlichen Nöten herauskommen wollen, in die die Völker und Staaten durch den Krieg und die Friedensabmachungen vom Jahre 1919 geraten sind. Man kann nicht darüber hinweg, daß inmitten der Völker Europas, die furchtbare Not eines großen Volkes sich auch auf die wirtschaftliche Lage der anderen Völker auswirkt. Und dem, was wiederholt in den sozialistischen Kundgebungen gesagt wurde, daß die wirtschaflichen Bedingungen der Friedensverträge auf die Dauer überhaupt unhaltbar sind, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen der Friedensgesetze eine wirtschaftliche Konsolidierung einfach nicht zulassen, hat man schließlich doch Rechnung tragen müssen. Es ist, wenn man jetzt die letzten Jahre zurüchblickt, immerhin von Interesse, was einzelne, die an dem Friedensverhandlungen teilgenommen haben, schon vor Jahren über diese Arbeit ausführten. Derselbe englische Nationalökonom, von dem ich vorhin sprach, hat in seinem Buche für Lloyd George eine Lanze eingelegt, der ja mit der Schöpfer der Friedensgesetze von Paris war. Er führte in diesem Buche aus, daß er davon überzeugt sei, Lloyd George habe gewußt, daß es sich um einen unklugen Vertrag handle, er habe gewußt, daß er Bestimmungen beitrete, die im Laufe der Zeit nicht zu halten sind. Es haben aber damals, im Jahre 1919, die Menschen noch unter den Auswirkungen des Kriegswahns gestanden und in dem Glauben gelebt, es müssen die im Kriege unterlegenen Staaten und Völker für alle Folgen und für alle Auswirkungen des Krieges aufkommen. Niemals in der Weltgeschichte sehen wir, daß ein Vertrag daß eine Einrichtung, die durch Gewalt geschaffen wurde, dauernd erhalten werden konnte. Und wenn sich Besiegte und Sieger zusammensetzen und einen Vertrag abschließen, noch dazu so abschließen, wie er in Paris abgeschlossen worden ist, kann kein Werk von Vollkommenheit herauskommen. Daher sollte man lieber weniger von der Unantastbarkeit des Friedens sprechen, sondern mehr daran denken, durch gemeinsame Arbeit aller Völker der Welt herauszukommen aus den wirtschaftlichen und kulturellen Gefahren und auch aus den politischen Gefahren.
Der Kriegswahn flaut ab. Wir hören jetzt andere Worte von den verantwortlichen Ministern und von den verantwortlichen Staatsmännern als noch vor wenigen Jahren, aber meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sache ist doch so, daß man bei nüchterner Betrachtung nicht über die Widersprüche hinwegkommen kann, die zwischen manchen feierlichen Worten und den Tatsachen liegen. Wir glauben sehr wohl, daß der Herr Minister des Äußern Dr. Beneš von dem Gedanken erfüllt ist, der Herstellung eines dauernden Friedens zu dienen. Wir glauben, daß er in dieser Richtung in seinen Verhandlungen auf den Konferenzen tätig ist. Wir wollen ihm das ohne weiteres zuerkennen, aber schauen Sie, es wirkt doch eigentümlich, wenn in der gleichen Zeit, in der man so viel von der Befriedung der Welt spricht, in dem Staate, von dem aus die Friedenspropaganda gefördert wird, mit allen Nachdruck gefördert wird, immer noch so viele Widerwärtigkeiten zu ertragen sind, als den Minderheiten bei uns mitunter zugemutet wurden. Wenn man in der Weltpolitik für die Verständigung der Völker eintritt, so muß man auch dem Gedanken der Völkerverständigung im eigenen Staate dienen. Auch da erkenne ich, daß gewisse Erklärungen uns zeigen, daß man damit rechnet, oder darauf bedacht ist, eine andere Atmosphäre zu schaffen. Aber wir haben heute vormittag im Kulturausschuß über eine Frage gesprochen, die uns auch nicht gerade zeigt, daß der innere Frieden von allen, die mit dazu beitragen sollten, daß es hergestellt wird, angestrebt wird. Es ist sicher ein Widerspruch vorhanden zwischen dem, was wir in feierlichen Versicherungen hören und dem, was wirklich ist, wenn jedes Wort der Klage über Zustände, die vom kulturellen Standpunkt unmöglich gutzuheißen sind, wenn auf jede Klage sich gleich eine Erregung bemerkbar macht, oder wenn man jeden Versuch zurückweist, aus diesen Widerwärtigkeiten herauszukommen, unter denen wir nun einmal auch in diesem Nationalitätenstaat zu leiden haben. In der Welt wird für den Frieden gearbeitet. Wir begrüßen es, obwohl wir mit den Methoden nicht immer einverstanden sind, manches an der Art auszusetzen haben, wie diese Fragen ausgetragen werden. Wir glauben, daß es nicht notwendig ist, selbst das wenige herabzusetzen, was geschieht, und wenn ich zur Kritik, die wir im Verlaufe der Debatte an den Abmachungen von Haag und Paris gehört haben, noch etwas zu sagen hätte, möchte ich folgendes feststellen. Auch uns geht das, was vereinbart worden ist, nicht weit genug. Auch wir deutschen Sozialdemokraten sind nicht mit all dem zufrieden, was zur Wiederherstellung konsolidierter wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse geschehen ist. Aber eines möchten wir doch sagen. Gerade die èechoslovakischen Politiker haben keine Ursache ihrem Minister für seine Arbeit Tadel auszusprechen. Wir haben mit Herrn Minister Beneš in der Zeit der Opposition manche harte Auseinandersetzungen wegen seiner Außenpolitik gehabt, aber das eine haben wir nie verkannt, daß schon mit Rücksicht auf die Stellung der Èechoslovakei in Europa für den Außenminister ein gewisser Zwang vorhanden gewesen ist, mehr einer Politik des Friedens zu dienen, als politische Bahnen zu wandeln, die die Wirrnisse in Europa vermehren könnten. Es ist nicht immer in jener Form geschehen, wie wir es gewünscht hätten.
Ich erinnere mich an Zeiten, wo schwere Fragen in der Weltpolitik zu entscheiden gewesen sind und wir so manches an der Haltung der èechoslovakischen Regierung auszusetzen hatten. Aber das ist nun, seitdem Locarno gekommen ist, seitdem auf den Dawesplan der Youngplan gefolgt ist, seitdem Deutschland im Völkerbund mitwirkt (Posl. de Witte: Seitdem es nicht mehr anders geht!), seitdem man eben nicht mehr über die Tatsachen hinweg kann, die die Entwicklung gesetzt hat, anders man bekennt sich jetzt aufrichtiger und offener zu den Friedensfragen. Est ist ein Zwischenruf gefallen: "Weil es nicht mehr anders geht." Es ist wirklich so. Nur Narren könnten heute ernsthaft verlangen, eine Umkehrung der Weltpolitik, wie sie seit Jahren eingeschlagen worden ist. Da glaube ich, daß man sich nicht an kleinliche Dinge halten sollte, es mutet etwas eigentümlich an, wenn èechische Politiker daran Anstoß nehmen, daß man vor den Leistungen, die da der Èechoslovakei vorgeschrieben sind, als von der Befreiungstaxe spricht. In Deutschland hat man diese Politik, die Politik der Verständigung, die Politik des Wiedergutmachens, die Politik, die Deutschland wieder in die Weltpolitik eingeführt hat, als Erfüllungspolitik bezeichnet. Wegen dieser Erfüllungspolitik sind deutsche Regierungen und auch die deutschen Parteien, die für sie gewesen sind, insbesondere die deutsche Sozialdemokratie auf das schimpflichste angegriffen worden. So hat einmal ein deutscher Politiker, der Zentrumsmann Marx, erklärt: "Wir werden das nicht Erfüllungspolitik heißen, sondern Befreiungspolitik. Wir können aus der furchtbaren Not, in der Deutschland steckt, nicht anders herauskommen, wir können nicht eher die Hoffnung hegen, früher auf unserem Boden vollständig frei zu sein, als wenn wir eine Erfüllungspolitik leisten, soweit unsere Kräfte dazu reichen und wir können diese Erfüllungspolitik ganz gut auch als Befreiungspolitik bezeichnen, weil wir auf anderem Wege nicht herauskommen und nicht in der Lage sind uns früher freizumachen." Es ist schon vor einem Vorredner auseinandergesetzt worden, daß das Wort "Befreiungsreparationen" durchaus nichts anstößiges ist. Wir halten uns natürlich über solche Dinge nicht auf, sondern glauben vielmehr, daß das, was im Haag und Paris beschlossen wurde, im ganzen als ein Teil der Weltpolitik zu beurteilen ist, die sich seit Jahren immer mehr und mehr durchsetzt und wir sind bereit, diese Art Weltpolitik zu fördern und zu unterstützen.
Allerdings ist unser Einfluß, der Einfluß der Arbeiterklasse auf die allgemeinen weltpolitischen Vorgänge noch nicht so groß, wie wir es wünschen möchten. Ich erinnere aber daran, daß schon 1919 und insbesondere in den darauffolgenden Jahren, sowohl die sozialistische Arbeiterinternationale, wie auch der Internationale Gewerkschaftsbund für eine stärkere Betonung des Friedensgedankens eingetreten sind, daß sich der Internationale Gewerkschaftsbund schon 1920 gegen die Reparationen und ihren Umfang ausgesprochen hat, daß, um den Haß abzubauen und die Völker einander näher zu bringen, der Internationale Gewerkschaftsbund bald darauf im Haag eine Friedenskonferenz abhielt, und auf allen diesen Tagungen ist die Politik vorgezeichnet worden, die Europa gehen muß, um sich nicht selbst zugrunde zu richten. Es geht langsam. Wir sehen, unser Einfluß ist nicht stark genug, da trägt die Politik Moskaus ihr Teil dazu bei, daß wir nicht stark genug sind. Das eine können wir ruhig sagen, es würde mit der Herstellung dauernden Friedens rascher gehen, wenn das Proletariat der Welt seinen Einfluß geschlossen zur Geltung bringen könnte. (Souhlas.) So müssen wir manches über uns ergehen lassen, was wir gerne bessergemacht gesehen hätten. Wir müssen schon manches als Fortschritt buchen, was nicht weit genug geht, und wir müssen uns vielfach damit abfinden, daß in allen diesen Abmachungen zu viel kapitalistischer Geist zu sehen ist. Das läßt sich nicht bestreiten, daß heute diese Abmachungen von Haag und Paris stark von kapitalistischem Geiste beeinflußt sind, es läßt sich nicht bestreiten, daß der reine Gedanken des Friedens sich viel zu wenig durchsetzt und daß da vielfach wirtschaftliche und finanzielle Fragen und Interessen den Ausschlag geben. Da wir nun als deutsche Sozialdemokraten für eine durchgreifende Friedenspolitik sind, da wir seit 11 Jahren sehen, was Europa und die Welt braucht, schließen wir uns allen Aktionen an oder fördern wir alle Aktionen, die der Welt den Frieden geben können. Und wir glauben auch, daß man mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und politische Lage Europas gegenüber den Vorschlägen Briands durchaus sachlich und ruhig zu bleiben hat.
Es ist eigenartig, daß der Vorschlag des französischen Außenministers Briand, der auf die Bildung eines europäischen Staatenbundes hinausgeht, in allen Ländern, wo man sich bisher damit beschäftigt hat, nur von den Nationalisten, von den Chauvinisten angeschossen worden ist. Wir sehen das in Ungarn, in Deutschland, und sehen das auch bei uns, überall sehen wir, daß die Politiker jener Richtungen, die dem Völkerfrieden niemals aufrichtig gedient haben, im Vorschlage Briands wieder irgendwelches Werk sehen, gegen das man auftreten müßte. Der von Briand vorgeschlagene Staatenbund ist nicht der Staatenbund, den wir anstreben. Die deutsche Sozialdemokratie hat auf ihrem letzten Parteitag in Heidelberg sich zu der europäischen Neuordnung ausgesprochen und es ist dort in einem Beschluß ein Bekenntnis dazu abgelegt worden, daß die europäischen Länder enger zusammengeführt werden, daß ein Staatenbund Europas angestrebt wird. Ein Staatenbund, der von kapitalistisch regierten Staaten angestrebt wird, wird niemals dem entsprechen können, was wir uns unter der Herstellung einer wirklichen wirtschaftlichen und politischen Einheit vorstellen. Aber eines muß man doch zugestehen. Der Zustand, wie er heute ist, ist wirklich kaum zu ertragen. Wenn Briand sagt, daß 20.000 km Grenzen in Europa aufgerichtet sind, so drückt sich in diesen Worten allein schon der Jammer Europas aus. Anstatt daß man aber daran gehen würde - und darin liegt auch ein Widerspruch gegenüber dem, was man im Haag und Paris vereinbart hat - die Zollgrenzen abzubauen, werden sie immer ärger und ärger. Wenn man z. B. in Genf sich an wirtschaftlichen Beratungen beteiligt, die den Zweck haben, die Zollmauern niederzureißen, und man beantwortet diese Beschlüsse mit der Aufrichtung neuer Zollmauern, wenn man weiter den Verkehr der Völker miteinander erschwert, so durch allerhand Maßnahmen, so dient das nicht der Herstellung einer wirklichen Verständigung der europäischen Völker. Wir glauben vielmehr, daß man der Bevölkerung, daß man den Völkern Europas durch die Politik selbst die Tatsache erträglich machen sollte, daß Europa in so und soviele größere und kleinere Staaten zergliedert ist. Und wenn es endlich einen Staatsmann gibt, der den Mut hat auszusprechen, - welche Beweggründe ihn leiten, lasse ich ganz weg - der den Mut hat, sich zu einem Gedanken zu bekennen, an den man allerdings auch schon früher gedacht hat, aber niemals in den Bureaus der Regierungen, so glauben wir darin ein Ereignis zu sehen, das man nicht mit ein paar kühlen Bemerkungen abtut. Wir sind für die Völkerverständigung und wenn es den Regierungen damit ernst ist, ein Zusammenleben der europäischen Staaten und Völker herbeizuführen, das die wirtschaftliche Entwicklung dieses Erdteiles fördert, so werden wir das begrüßen. Nur zweifeln wir daran, ob dies den kapitalistischen Regierungen gelingt, wir zweifeln vor allem daran, ob man wirklich aufrichtig aus echtem Friedensdrang heraus an seine Arbeit geht. Nun wird es nicht so bleiben, wie es heute ist, die Arbeiterklasse wird mächtiger werden, ihr politischer Einfluß wird steigen, sie wird an all den großen Fragen, die noch zu lösen sind, mitzuwirken die Möglichkeit haben und es wird über jene Annäherung hinaus, die die bürgerliche Welt herbeizuführen imstande ist, die unter der kapitalistischen Regierung möglich ist, darüber hinaus der Sozialismus dieses Verständigungswerk zu Ende führen.
Wir deutschen Sozialdemokraten nehmen die Berichte der beiden Auschüsse, die sich mit den Abmachungen von Haag und Paris beschäftigt haben, zur Kenntnis. Wir verweisen auf die Widersprüche, die zwischen den Worten liegen, mit denen diese Abmachungen gepriesen werden und der harten Wirklichkeit und wir wünschen, daß die Zustände auch im Innern des Staates angepaßt werden dem Friedenswillen und dem Friedensdrange, von dem heute alle Völker beseelt sind. (Posl. de Witte: Da fehlt das Locarno noch!) In der Èechoslovakei fehlt das Locarno noch, aber das eine dürfen wir nicht verkennen, man kann nicht im Allgemeinen sagen, daß wir keinerlei Strömungen zur Herstellung eines wirklich erträglichen Zustandes für alle Völker vorhanden wären. Eines ist nur und das wird in der Èechoslovakei viel zu wenig geübt: Es sind nicht immer die an den ersten Stellen der Politik stehenden, die eine Freude daran hätten, daß die Gehäßigkeit noch weiter fortgepflanzt wird, sondern es sind oft Beamte im Staate, die nicht wissen, oder die sich dessen nicht bewußt sind, daß es ihre Aufgabe wäre, versöhnend zu wirken, daß es ihre Aufgabe wäre, das Unrecht nicht zu schützen und zu verteidigen, dort wo es vorkommt. Wir sind als deutsche Sozialdemokraten aufr chtig bemüht und ernstlich entschlossen, die Friedenspolitik zu unterstützen und zu fördern, wir anerkennen die Arbeit, die im Haag und Paris geleistet worden ist, aber wir knüpfen an diese Anerkennung den dringenden Wunsch, auch auf einen dauernden und vollkommenen Frieden in dem Lande hinzuwirken, in dem wir leben. Das ist nicht so schwer, das kann erreicht werden; das kann vor allem erreicht werden, wenn man den politischen Giftmischern ein Ende setzt, wenn man jedem Unrecht entgegentritt und wenn man vor allem von den verantwortlichen Stellen aus jede Handlung, die sich gegen den Geist des Friedens und der Versõhnlichkeit richtet, von wem sie auch kommen mag, verurteilt, besonders wenn sie von einem Beamten kommt.
Ich kann also damit schließen,
daß wir die Berichte zur Kenntnis nehmen. Wir sind mit deni Schritte
nach vorwärts, der gemacht worden ist, einverstanden, wir begrüßen
die Abmachungen von Haag und Paris, wir begrüßen es, daß durch
den Youngplan und durch die Haager Beschlüsse Deutschland seine
volle Freiheit nunmehr wieder erlangt hat und wir gehen unserer
Überzeugung Ausdruck, daß Haag und Paris nicht die letzte Etappe
sein wird, die auf dem Wege zum Völkerfrieden zurückgelegt werden
wird. Wir werden bereit sein, auf diesem Wege mitzuwirken und
mitbeizutragen, daß die Võlkerverständigung Europas dauernd wird.
Wer also den Friedensbestrebungen dienen will, kann nicht, so
wie es vielfach geschieht, sich gegen die große Arbeiterbewegung
wenden, gegen den Sozialismus, er ist einer der mächtigsten Förderer
des Friedensgedankes, er ist die Kraft, die auch innerhalb der
kapitalistischen Regierungen mit dazu beitragen wird, daß man
den Tatsachen Rechnung tragen und endlich aus dem Zustand der
Gehässigkeit und der wirtschaftlichen und politischen Bedrückung
heraustreten wird. Wir nehmen die Beschlüsse der beiden Ausschüsse
zur Kenntnis. (Potlesk.)