Die Zensurpraxis übertrifft im Radiowesen an Umfang und Inhalt
jede andere Zensur in Èechoslovakei,
sei es die auf dem Gebiete der Presse oder des Theaters. Diese
Radiozensur richtet sich, was die deutschen Sendunden anlangt,
in erster Linie, ja fast ausschließ ich gegen die deutsche
Anbeitersendung, deren Referenten und Theinco vom "Freien
Radiobund in der Èechoslovakei" namhaft gemacht
verden, Es ist charakteristisch, daß nicht einmal der Name
dieses Bundes jemals im Rundfunk genannt‚ werden darf, daß
er gleich bei der ersten deutschen Arbeitersendung konfisziert
wurde, obzwar der "Freie Radiobund"
der einzige Bund deutscher Arbeiter-Radio-Amateure in der Èechoslovakischen
Republik ist, obwohl die Arbeiterschaft einen beträchtlichen
Prozentsatz der Abonnenten stellt obwohl der "Freie Radiobund"
schon vor einem halben Jahre seiner Mitgliederzahl
nach mindestens an die zweite Stelle aller deutschen Radioorganisationen
in der Republik aufgerückt ist und obwohl seine Arbeit notwendig
da zu fuhrt immer neue Abonnenten zu schaffen.
Schon diese Tatsache allein beweist, daß
die Radiozensur politische und zwar im bürgerlichen, arbeitgegnerischen
Sinne gehandhabt wird.
Weit mehr aber wird das durch die übrigen
Konfiskationen an der deutschen Azbeitersendung bewiesen, deren
Vorträge wiederholt vollkommen unmöglich gemacht, oft
durch brutale Streichungen entwertet, manchmal durch kleine Tücken
und Änderungen zum Teile zum ihren Sinn gebracht werden.
In den Monaten Dezember 1926, Jänner und
Feber 1927 hat die Zexisur in folgenden Fälen eingegriffen:
Am 1. Dezember hat sie aus einem Vortrag über
Radio als Volksibildtnngsmittel folgende zwei Absätze einfach
gestrichen.
"Es gibt eigentlich nur ein Hindernis
für den Rundfunk, allgemeines Volksbildungsmittel zu werden,
nämlich, daß natürlich auch das Radio Ware ist,
daß es bezahlt und heute leider immer noch so hoch bezahlt
werden muß daß nur ein sehr geringer. Teil der Arbeiter
sich in seinen Besitz setzen kann. Daher erscheint es auch als
eine der Hauptaufgaben aller Körperschaften, die die .Popularisierung
des Radios anstreben, immer neue Wege zu seiner Verbilligung
zu finden und der "Freie Radiolbund in der èechoslovakei",
in dessen Namen ich hier spreche, sucht dieser Aufgabe nach bestem
Können gerecht zu werden, indem er dem Arbeiter billigen
Einkauf der Bestandteile vermittelt und ihn zum Selbstbau
seines Appparates anhält."
"Wir müssen uns mit der Anführun
dieser Beispiele für den volksbildnerischen Wert des Rundfunks
begnügen. Es ist klar, daß der Rundfunk in seiner heutigen
Gestalt den Interessen und Ansprüchen der Arbeiterschaft
so wie auf jedem Gebiete so auch volksbildnerisch zu wenig entspricht.
Das kann nicht anders sein, da sich, der Rundfunk, so wie die
meisten Bildunsinstrumente, in den Händen der Besitzklassen
und ihres staatlichen Mach tapparates befindet. Es liegt aber
durchaus an dir Arbeiterschaft selbst den Rundfunk immer mehr
so umzubauen, daß er der Bedürfnissen und Voraussetzungan
der Arbeitershaft entspricht. Für das arbeitende Volk gilt
bezüglich des Radio die Losung: Das Gute von heute nehmen
und danach streben, daß es morgen besser werde. Bei aller
Erkenntnis für die Bedeutung des Rundfunk als Quelle der
Zerstrenung und Unterhaltung im freudearmen Arbeiterhairs, bei
allem Verständnis für Neigungen zum bauen und basteln
und für den Machtrausch, buchstäblich im Handumdrehen
Zehntausende Kilometer. Länder und Meere, überspringen
zu können, hat für den Arbeiter doch neben der politischen,
die bildnerishe Bedeutung des Rundfunk obenan zustehen, nach dem
alten Wort "Wissen ist Macht" oder nach unserem neuteren
Ziel von der geistigen Kampffähigmachurng des Arbeiters."
Am 18. Jänner hat die Zensur aus einem
Vortrag über "Heimat und Weit der sudetendeutschen Arbeiter"
das Worf "sudentendeutsch" k onseqtrent gestrichen,
sodaß beispieisiweise, nur um die Gefährlichkeit der
Bezeichnung "sudetendeutsch" zu vermeiden, der Unsinn
gesprochen werden mußte, daß die "deutschein"
Arbeiter nach Deutschland auswandern.
Am 10, Feber verfiel ein Vortrag "Kulturaufgaben
der Presse" volltändig der Beschlagnahme, obwohl er
in keiner Weise politisch oder gar parteipolitisch gefärbt
war und mit Begriffen wie "bürgerlich", "
kapitalistisch", "sozialistisch "‚ "proletarisch"
überhaupt nicht operierte.
Am 22. Feber wurde in einem Vortrag über
"Neue Bücher für 'das Proletariat" das Wort
"Proletariat" schon im Titel und die Bezeichnung "proletarisch"
im weiteren Text ausgemerzt.
Die Zustände beim Brünner Sender
sind womöglich noch ärger. Anläßlich der
Eröffnung der deutschen Sendungen unterdrückte die Brünner
Radiozensur die Ansprache des Obmanns des deutsehen Radiobeirates
vollständig. Der deutsche Radioheirat, der sich aus Vertretern
aller in Betracht kommenden Interessenten und Kulturorganisationen
zusammensetzt, wird nicht anerkannt. Dagegen sind die Vertreter
einiger deutscher Institutionen in den großen Ausschuß
des in seiner überwiegen den Mehrheit natürlich èechischen
Radiobeirates aufgenommen worden. Dabei ist aber weder ein Vertreter
der Arbeiterschaft, noch ein Delegierter des "Freien Radiobundes"
zugezogen worden, ja sogar die Volkshochschule,
die große deutsche Volksbildungseinrichtung, in Brünn
und in Mähren überhaupt, ist übergangen worden.
Obwohl die deutschen Radiosendungen in Brünn
erst vor ganz kurzer Zeit aufgenommen wurden, hat auch die Brünner
Zensur bereits 3 Vorträge vollständig unterdrückt.
Es waren dies ein Vortrag des Professor Schweitzer über "Arbeiterschaft
und Radio", ein Vortrag des 'Senators Professor Pollach über
"Arbeiterbildung", ja sogar ein Vortrag dies Dramaturgen
des deutschen Theaters Dr. Glück wurde von der Zensur zuerst
verstümmelt und dann vom Programm überhaupt abgesetzt.
Während also die Zensur jede, auch die
leiseste Regung des Klassanbewußtseins der Arbeiterschaft
unter dem Vorwand der politischen Neutralität rücksichtslos
unterdrückt, durfte am Samstag den 19. Februar‚
unter den Pressenachrichten des, èechoslovakischen Preßbüros
ungehindert folgende eminent parteipolitisch gefärbte Meldung
gesandt werden:
"Die Oppositionsparteien, namentlich die
deutschen, bemühen sich, den Widerstand der Bevöllkerung
gegen die Verwaltungsreform zu erregen, es scheint aber, daß
sie damit nicht einmal unter der deutschen Bevölkerung Widerhall
finden."
Wenn di Radiosendungen unpolitisch sein sollen,
dann darf auch eine Stimmungsmache für die gegenwärtige
Regieruingsmehrheit und einzelne ihrer politischen Aktionen im
Radio nicht geduldet verden. Wenn aber die an und für sich
eiganartigen Propagandamethoden des offiziös en Presseapparates
im Radio nicht verboten werden, dann ist umso weniger einzusehen
mit welchem Recht parteipolitisch vollkonmen neutrale, lediglich
den kulturellen und sozialen Interessen der Arbeiterschaft dienende
Sendungen restlos unterdrückt werden.
Wir fragen daher die Regierung:
Ist sie bereit die Unterdrückung der Arbeitersendimgen
sofort einzustellen?
Das Hauptorgan der nationalistischen Arbeiterpartei
"Der Tag" in Aussig vird seit Monaten in einem derartigen
Umfange mit Konfiskationen bedacht, daß diese den Charakter
einer politischen Verfolgung annehmen. Artikel und Zeitungsnotizen,
die in anderen Blättern ohne jeden Anstand erscheinen, verden
im "Tag" durch den Zensor des Polizeikommissariates
Aussig Dr Kouba beschlagnahmt. Selbst Kundgebungen eines Parteitages,
Auszüge aus dem Parteiprogramm, ja selbest Kundgebungen die
vor Jahren an Parteitagen der nat.- soz. Partei gefaßt wurden
und damals unbeanständet erscheinen konnten, werden jetzt
- wenn sie in Zeitungssätzen zitiert werden - beschlagnahmt.
Alle diese Fälle, die zu beegen wir jederzeit gerne bereit
sind, werden aber durch den Fall überboten, der Anlaß
zu dieser Interpel1atinn gibt. In der Ausgabe vom Donnerstag den
24. Jänner 1927 veröffentlicht "Der Tag" einen
Gerichtssaalbericht mit folgendem Titel:
"Wieder nach dem Schutzgesetz verurteilt.
Abgeordneter Hans Kreibs erhäit wegen eines Artikels einen
Monat Kerker, verschärft mit zwei Fasttagen."
In diesem Artikel wurde folgende Stelle konfisziert:
"Der "sudetendeutsche Heimatsbund" sei weder eine
Geheimotganisation noch bedrohe er die èechoslovakische
Republik in ihrem Bestande. Er sei eine kulturelle Organisation,
welche die in Osterreich und Deutschland lebenden Sudetendeutsehenumfasse
und zur Pflege der Heimatliebe und Verbreitung der Kenntnisse
über die Kämpfe der Sudetendetutschen organisiere."
Abgesehen davon, daß diese Stelle auf
keinen Fall zu konfiszieren gewesen wäre, wird dieser Fall
der Konfiskation umso unbegreiflicher und stellt eine politische
Verfolgung sondergleichen dar, als derselbe Artikel im vollen
Wortlaut zur gleichen Stunde in der Ausgabe dies "Aussiger
Tagblattes" unkonfisziert erscheinen konnte. Wir stehen also
vor der Tatsache, daß ein und derselbe Artikel von ein und
demshelben Zensor, am gleichen Tage in einem Blatte zugelassen
und in einem anderen Blatte unterdrückt wurde.
Diese Zensurverhältnisse sind einfach
unhaltbar.
Wir richten daher an die Herren Minister die
Anfrage:
1. Sind den Herren Ministern die Zensurmaßnahmen
des Zensors der Staatspolizei in Aussig bekannt?
2. Sind die Herren Minister bereit, die zweifellosen
Übergriffe des genannten Zensors einer gründlichen Überprüfung
zu unterziehen?
3. Sind die Herren Minister bereit diese Misstände
abzuschaffen und dafür zu sorgen, daß die Zensur in
Zukunft in objektivester Weise erfolgt?
4. Welche Maßnahmen gedenken die Herren
Minister zu treffen dämit derartige Vorkommnisse wie sie
die Ausgabe des Tagblattes "Der Tag" vom 24. Feber 1927
betroffen haben, sich nicht mehr wiederholen?
In der Folge 4 der Gablonzer "Volkswehr"
vom 22. Jänner 1927 war ein Artikel enthalten, der als Kritik
an einem persönlichen Verhalten gedacht war. Trotzdem derselbe
keineswegs über das Maß der üblichen Verzeichnung
eines Vorfalles hinausging, fand es das Zensurorgan der politischen
Bezirksverwaltung in Gablonz a. N. dennoch für nötig,
ihn zu beschlagnahmen. Die Grundlosigkeit zu solcher Verfügung
ist am besten ersichtlich durch das Studium des nicht veröffentlichten
Berichtes selbst. Er lautete:
"Gagblonz a. N. (Baumeister Frýda.)
In der letzten Nummer 'der "Volkswehr war die Mitteilung,
daß genannter Herr sich früher Frieda, später
Frida und jetzt Frýda schreibt und daß er als erster
vom Stadtaimte in Gablonz a. N. einen doppelsprachigen Heimatschein
verlangt haben soll. Diese Feststellung, mit der wir gaubten.
Herrn Frýda eine Gefälligkeit zu erweisen, scheint
ihm nun zu unserer größten Überraschung keine
besondere Freude gemacht zu haben. Anders könnten wir es
nicht verstehen, daß Herr Frýda Parteigenossen von
uns, die mit der freundlichen Merke nichts zu tun haben, zur Rede
stellt und sie anzurempeln versucht. Weil herr Frýda gern
gewußt hätte, wer uns die Mitteilung gemacht hat, daß
erals erster den doppelsprachigen Heimatschein verlangt hat, wollen
wir ihm zu seiner Beruhigung in Erinnerung bringen, daß
er es selbst weitergesagt hat und es durch seine Freunde bekannt
geworden ist. Im übrigen kann doch das kein Grund sein, daß
Herr Frýda uns irgendwie bös wäre, wo er Ursache
hätte wirklich stolz zu sein."
Bei nochmaliger Feststellung unserer Anschanung
über die Grundlosigkeit der Beschlagnahme des angeführten
Artikels fragen wir den Herrn Minister:
ob er endlich geneigt ist, eine Dienstinstruktion
an die Alfsichtsbehörden zu erlassen, welche eine moderne
Handhabung der Presseaufsicht gewährleistet?
Am 24. Feber 1927 wurde im Leitartikel des
sozialdemokratischen Tagblatts "Volkswille" die nachfolgende
Stelle konfisziert.
"Was im Vornahre der Pascha von Karlsbad,
der Herr Votava, in seinem Machldünkel tat - er verhängte
über den Ort Fischern eine Art Ausnahmszustand - das wird,
jetzt jeder können, der des Gesetzes Tragweite erfaßt
und den ein mussolinisches Gelüst anwandelt."
Der Artikel ist die wörtliche Wiedergabe
eines wenige Tage vorher im "Sozialdemokrat", im "Volksfreund",
in der "Freiheit", in der "Volkszeitung" (Komotau)
und im "Volksboten" (Bodenbach erschienenen Artikels,
der in allen diesen Blättern unbeanständet erschienen
war. Er wurde auch von der "Volkspresse" (Troppau) und
"Volkswacht" (Sternberg) übernommen, ohne daß
die zuständige Behörde einen Anlaß zur Konfisikation
fand.
Es handelt sich also um einen Willkürakt
der Karlsbader Polizei, der umso aufreizender wirkt, als die konfiszierte
Stelle keineswegs der schärfste Passus des Artikels gewesen
ist. Der konfiszierten Stelle geht beispielsweise folgender Satz
unmittlelbar voran:
"Der verrufenste Büttel des Absolutismus,
der infamste spitzel des Vormärz müssen einem, heute
als weitblickende Demokraten erscheinen, die den Geist des 20.
Jahrhunderts vorwegnahmen."
Dies Stelle ist dem Karlsbader Zensor unbedenklich
erschienen und es ist damit geradezu der urkundliche Beweis erbracht,
daß der unmittelbar darauf folgende Satz nur deshalb der
Beschlagnahm verfiel, weil er einen persönlichen Angriff
auf den Leiter der Karlsbader Staatspolizei enthält. Es ist
aber wohl ein unerträglicher Gedanke, daß das ohnehin
sehr bescheidene Maß von Preßfreiheit, das wir in
der èechoslovakei genießen, auch noch vom der persönlichen
Empfindlichkeit des Zensors abhängig sein
soll.
Wir stellen daher die Frage:
1. Ist dem Herrn Minister dieser unerhörte
Konfiskationsfall bekannt?
2. Ist er bereit, das Karlbader Polizeikommissariat
darüber zu belehren, daß die Pressepolizei keineswegs
nach persönlicher Empfindlichkeit, sondern nur nach dem Gesetze
gehandhabt werden darf?
Der Gefertigte hat bereits in seiner am 15. Februar 1. J. im Abgeordnetenhause
gehaltenen Rede das vertragsbrüchige Verhalten des èechoslovakischen
Konsulates in Linz in Angelegenheit des Sudetendeutschen Heimatbundes
in Deutschösterreich besprechen. Wie dem
Gefertigten zur Kenntnis gebracht wird, verweigert das genannte
Konsulat den Mitgliedern des Heimatbundes auch weiterhin die Einreisebewilligung
in die èechoslovakei, wenn sie sich nicht verpflichten,
folgende Erklärung zu unterfertigen:
"Ich erkläre hiemit ehrenwörtlich
daß ich aus dem Sudetendeutschen Heimatbunde, bezw. Hilfsverein
für Deutschböhmen und die Sudetenländer, ausgetreten
bin. Ich verpflichte mich gleichzeitig, an keinen Unternehmungen
dieses Vereines sowie an keiner gegen die èechoslovakei
gerichteten Aktion teilzunehmen oder dieselbe zu unterstützen."
Neben Angabe dieser ehrenwörtlichen Erklärung
haben die Betroffenen auch noch eine Bestätigung über
den tatsächlichen Austritt aus dem Vereine zu embringen.
Abgesehen von dem naktten Vertragsbruche, den
dieses Vorgehen des Linzer Konsulates beinhaltet, stellt sich
dasselbe auch als eine Erpressung dar. Man sollte es nicht für
möglich halten, daß derartige Methoden im internationalen
Verkehr zwischen zwei angeblich befreundeten Staaten möglich
sind.
Die Gefertigten richten daher an den Herrn
Minister des Äußeren die Anfragen:
1. Betrachtet auch (der Herr Minister die Sudetendeutschen
Heimatbände des Auslandes als Organisationen im Sinne des
§ 17 des Schutzgesetzes?
2. Wenn ja, ist der Herr Minister bereit, dem
Abgeordnetenhause das Material zur Kenntnis zu bringen, das die
Grundlage zu ei;ner solchen Beurteilung bildet?
Es mehren sich in letzter Zeit die Beschwerden
der klein- und mittelbäuerlichen Bevölkerung über
die Beurteilung der von dem Fleischumsatzsteuerpauschale ,befreiten
Haus - und Notschlachtungsfälle, seitens der zuständigen
Gefällskontrollämter.
Die Fonmulierung der Erlässe ,des Finanzministeriums,
welche die Befreiung von Umsatzsteuerpauschale zulassen, ist derart,
daß der willkürlichen Auslegung ,dieser Erlässe
durch die Gefällskontrolle der weiteste Spielraum gewährtist.
Die willkürliche Auslegung dieser Erlässe
führt in der Praxis zu einer schweren Schädigung und
Benachteiligung der durch den Notschlachtungsall ohn ehin bet
roffenen Viehbesit er, weil diese Auslegungstets von engherzigsten
fiskalischen Standpunkt aus erfolgt.
Zur Charakterisierung dieser von den Gefällskontrollämtern
gepflogenen ,Praxis ,seien nachstehende Fälle angeführt:
1. Der Landwirt Benjamin Gabriel in Schönlinde-Sonneberg
Nr. 338, Bez Rumbung, mußte anfangs Juli 1926 ein Rind notschlachten
und wurde das anfallende Fleisch in dem von dortigen Notschlachtungsverein
zu diesem Zwecke bestimmten Raum ausge schroten Das Gefällskontrollamt
in Rumburg forderte die Zahlung des Fleischumsatzsteuerpauschal
es von Kè 96.-. weil das Fleisch nicht bei dem Besitzer
des Rindes ausgeschroten wurde.
2. Der Landwirt Anton Krause in Götzdorf
Nr. 49, Bez. Niemes mußte am 1. September 1926 eine
Kuh notschlachten lassen. Er zahlte die entfallende Fleischsteuer
am selben Tage ein, bekam jedoch 8 Tage später vom Gefällskontrollamte
in Niemes die ,Aufforderung auch so fort die Umsatzsteuer im Betrage
van Kè 75.- einzuzahlen, weil das Fleisch aus
dieser Notschlachtug an die Mitglieder des Notschlachtungsvereines
abgegeben wurde.
3. Der Landwirt Franz Langer in Höflitz
Nr. 30, Bez. Niemes, mußte am 26. September 1926 eine Kuh
notschlachten. Das Gefällskontrollamt in Niemes forderte
außer der bereits gezahlten Fleischsteuer auch die
Bezahlung des Fleischumsatzsteuerpauschales von kè 75.-
trotzdem das Rind im Hause des Besitzers geschlachtet und ausgeschroten
wurde.
4. Am 21. Oktober 1926 mußte der Landwirt
Julius Luschtinetz in Warnsdorf 1/8 über tierärztliche
Anordnung eine Kuh notschlachten lassen. Die Schlachlung wurde
im städtischen Schlachthof in Warnsdorf vorgenommen, da laut
Schlachthofordnung alle noch transportfähigen Tiere nur im
Schlachthof geschlachtet werden dürfen. Das aus dieser Notschlachtung
anfallende noch genußtaugliebe Fleisch wurde bei dem in
der Stadtmitte wohnenden Landwirt Josef Mich. Eger unter stadtpolizeilicher
Kontrolle ausgeschroten ,weil der Besitzer des notgeschlachteten
Rindes am äußersten Ende der Stadt wohnt. Hieraus ergibt
sich daß der zentralgelegene Verkaufsplatz bei dem Landwirt
Jos. Mich. Eger durch die dadurch bedingte bessere Absatzmöglichkeit
des Fleisches weiteren Verlusten vorbeugen sollte. Das Gefällskontrollamt
in Warnsdorf forderte die Zahlung des Fleischumsatzsteuerpauschales
im Betrage von 46.20 Kè, weil das Rind im städtischen
Schlachthof geschlachtet wurde.
5. Der Häusler Reinhold Runge in Kunnersdorf
Nr. 317, Bezirk Zwickau, schlachtete am 23. Dezember 1926 ,ein
selbst aufgezogenes Schweinas Hausschlachtung. Nach dem der Hushalt
nur den Besitzer und seine Frau umfaßt und der Eigenbedarf
deshalb gering ist, verkäufte er eine Hälfte des Schwernes
an den Fleischhauer Wächter in Kunnersdorf bei Zwickau, welcher
für diese Hälfte die ihm vorgerschriebene Umsatzst
euer bezahlte. 3 Tage später forderte das Gefällskontrollamt
in Zwickau den Runge auf, für die 2. Hälfte sofort 18
Kè als Fleischumsatzsteuerpauschale zu bezahlen widrigemfalls
er wegen Gefällsübertretung bestraft wurde, obwohl Hausschlachtungen
laut Erlaß befreit sein sollen.
6. Der Landwirt Adolf Hieke in Neukreibitz
Nr. 32, Bezirk Warnsdorf mußte am 4. Janner 1927 abends
eine Kuh mit 150 kg Fleischdewicht notschlachten. Die Kuh wurde
am 4. Janner um 6 Uhr abends vom Tierarzt Dr. Pollak aus Kreibitz
beschaut und die Notschlachtung beistätigt.
Da das Postamt bereits um 5 Uhr nachmittags schließt, zahlte
Hieke ,am 5. Jänner 1927 beim Postamte in Teichstadit lie
nach dein Tarif entfallende Fleischsteuer von 30 Kè ein
Der Empfangsschein wurde jedoch vom Postamte
irrtümlicherweise mit dem Poststempeldatum 7. I. 27 versehen,
nachträglich jedoch vom Postamt richtiggestellt, da die Geldsendung
auch unter dem Datum 5. I. 1927 im Postbuch eingetragen.
Hieke wurde am 26 I. 1927 zum Gefällskontrollamt
Warnsdorf vorgeladen und mußte hier Kè 20.-
Fleischsteuer nachzahlen, weiter Kè 75.- Umsatzsteuerpauschal
entrichten und Kè 100.- Gefällsstrafe wegen angeblich
zu wenig eingezahlter Fleischsteuer.
Hieke hat dem Fleischsteuertarif entsprechend
für 150 kg Schlachtvieh, d. i. verwendbares und zum Genuß
noch tauglich befundenen Fleisches pro kg 20 Heller eingezahlt,
wurde jedoch trotzdem bestraft und mußte außerdem
noch das Fleischumsatzsteuerpauschal entrichten.
7. Der Häusler Anton Pilz in Skt. Georgenthal
Nr. 21, Bezirk Warnsdorf mußte am 12. Jänner 1927 über
Auftrag des Staatstierarztes Dr. Wagenknecht eine Kuh notschlachten.
Nachdem in dem mehr als bescheidenen Häuschen des Besagten
kein Raum zum Abhäuten und Amschlachten des Rindes vorhanden
ist, ersuchte er den in der Nähe wohnenden Fleischhauer Franz
Griesbach, er möge das Tier in seinem Schlachthause abstechen,
abhäuten und ausschlachten.
Nach diesem holte Pilz das Fleisch in sein
Haus zurück, wo es am nächsten Tage ausgeschrotet wurde.
- Der Häusler Anton Pilz durch die willkürlichen Entscheidung
der Gefällskontrollämter beunruhigt, wandte sich vor
Durchführung der Notschlachtung an das Gefällskontrollamt
in Warnsdorf um Auskunft über die aus dieser Notschlachtung
erwachsenden Steuern. Der dortige Amtsvorstand erklärte
ihm, daß außer der Fleischsteuer im Betrage von Kè
50.- auch das Fleischumsatzsteuerpauschale von Kè 75.-
unbedingt zu zablen ist. Anton Pilz mußte infolgedessen
diese Beträge zahlen.
Diese vorangeführten Fälle sind nur
ein Bruchteil von den hunderten, in welchen der durch die Notschlachtungen
ohnehin schwergeschädigte Kleinlandwirt durch die Gefällskontrollämter
zu einer Doppelbesteuerung herangezogen wird.
Ein geradezu ungeheuerlicher Widerspruch ergibt
sich daraus, daß der kleine Landwirt bis zu 50 ha, welcher
das Umsatzsteuerpauschal entrichtet bei Verkauf eines gesunden
Tieres den vollen Schlachtwert erhält und keine Umsatzsteuer
hiefür separat zu entrichten hat, während der von Unglück
heimgesuchte Landwirt höchstens 50% des vollen Schlachtwert
es aus dem notgeschlachteten Tier erlöst (in den weitaus
meisten Fällen ist der Prozentsatz viel niedriger) ,und außerdem
noch wie zum Hohn auf sein Unglück muß er für
das notgeschlachtete Tier nochmals die Umsatzsrteuer bezahlen,
obwohl er für seine Landwirtschaft so gut wie der von Unglück
nicht heimgesuchte bereits sein Umsatzsteuerpauschal entrichtet
hat.
Dieser Vorgang beinhaltet eine schreiende Ungerechtigkeit
und Bedrückung der kleinen Landwirtschaft gegenüber
anderen Erwerbsgruppen des Volkes.
Als Beweis diene, daß für verschiedene
Artikel des Handels und der Industrie ebenfalls die Umsatzsteuer
im Pauschal entrichtet wird, ohne daß es jedoch einmal vorgekommen
wäre, für diese pauschalmäßig versteuerten
Artikel im Falle ihres teilweisen Verderbens und da durch herbeigeführten
Minderwertigkeit noch einmal die Umsatzsteuer zur Zahlung vorzuschreiben,
wie beim Kleinlandwirt.
Wenn irgendwo, so ist hier das bekannte Zitat:
"Erkläret mir Graf Oerindur diesen
Zwiespalt der Natur" ("des Fiskus " wäre hinzuzufüg
en) non Platze. Die Kleinlandwirtschaft empfindet diese Ungerechtigkeit
umso härter, als die Erzeugung oder der Wertrieb von umsatzsteuerpflichtigen
Artikeln der Industrie und des Handels große Gewinne abwirft,
während selbst bei normaler Witterung, die Kleinlandwirtschaft
nur ein sehr bescheidein es Auskommen, bei vieler Arbeit gewährleisten
kann.
Ebenso stellt auch die nochmalige Zahlung von
Umsatzst euer bei Haus schlachtungen, selbst wenn ein Teil des
anfallenden Fleisches direkt an den Konsumentren abgegeben wird,
eine schwere Benachteiligung der Viehzucht treibenden kleinbäuerlichen
Landwirtschaft dar, für welche keine Begründung erbracht
werden kann.
Zum Beweis diene, daß die umsatzsteuenpauschalierte
Landwirtschaft erzeugtes Getreide, Kartoffeln u. dgl. verkaufen
kann, zu 1000, 50, 5 oder 1 kg, ohne daß dieselbe nochmals
Umsatzsteuer zu zahlen braucht. Daß beispielsweise Kohle
von den Werken waggonsweise und auch fuhrenweise abgegeben werden
kann, ohne daß die Werke nochmals Umsalzsteuer zu zahlen
brauchen.
Nur der Gebirgskleinlandwirt, der außer
denn Viehverkaufikeine andere Einnahmsmöglichkeit hat, muß
nochmals Umsatzsteuer zahlen, wenn er das Tier stückweise
an den Konsumenten weiterverkauft.
Die Kleinlandwirte sind in vielen Fällen
gezwungen, wenn auch ungern, selbst zu schlachten, da häufig
keine andere Möglichkeit besteht, sich Bargeld für die
Wirtschaft, Schuldzinsen und Steuern beschaffen.
Bei allem Viehüberschuß am flachen
Lande sind beispielsweise die Schlachthäuser der Städte
Nordböhmens mit fremdren Vieh überfüllt, welches
dann aus Bequemlichkeitsgründen von Gewerbebetrieb un erster
Linie übernomme wird, sodaß der heimische Landwirt
sein Vieh nicht oder nicht zeitgerecht, d. i. mit Verlust verkaufen
kann.
Die Kleinlandwirtschaft trifft diese Doppelbesteuerung
auch deshalb in höchst ungerechter Weise, weil der Staat
durch seine sozialpolitischen Maßnahmen: Wuchergerichte,
Ausschaltung des Kettenhandels, Marktkontrolle u. dgl. einerseits
eine Verbilligung der Lebensmittel herbeiführen will, anderers
eits jedoch den Kleinlandwirt durch Doppelbesteuerung straft,
wenn derselbe im Sinne dieser sozialpolitischen Maßnahmen
als Urproduzent die Erzeugnisse seiner Viehzucht, mit Umgehung
der verteuernden Zwischenstufen in verbilligter Form direkt dem
Konsumenten verkauft.
Der Kleinlandwirt rkann nicht Schlachtvieh
waggonweise an die Schlachthöfe der Verbrauchszentren liefern,
ist auf den Einzelverlkauf ange wiesen und durch diese Doppelbesteuerung
jenem sich zwischen Erzeuger und Verbraucher einschiebenden Zwischenhandel
direkt ausgeliefert, welchen der Staat durch obige sozialpolitische
Maßnahmen zu bekämpften vorgibt.
Diesen unlösbaren. Widerpruch in den Regierungsnmaßnahmen
empfindet die Kleinlandwirtschaft als eine Verhöhnung ihrer
Freiheit und Gleichberechtigung, da man ihr verbietet als Urproduktion
ihre Erzeugnisse zu einem billigeren Preise direkt an die Verbraucher
abzugeben.
Die Gefertigten fragen deshalb an:
1. Ist dem Herrn Minister für Finanzen
die will kürliche und engherzige Auslegung der Ministerialerlässe
über die Befreiung der Haus- und Notschlachtungen von der
Umsatzsteuer durch die Gefällskontrollämter bekannt?
2. Ist der Herr Minister für Finanzen
gewillt, in einem generellen Erlaß festzulegen, daß
für die Befreiung der Haus- und Notschlachtungen die Anzeige
beim zuständigen Gemeindeamte genügt und zwar bei Notschlachtungen
unter Vorlage des tierärztlichen Befundes?
3. Ist der Herr Minister für Finanzen
geneigt, anzuordnen, daß in allen Haus- uns Notschlachtungsfällen
seit 1. Juni 1926, in welchen von den Gefällskontrollämtern
die Zahlung der Umsatzsteuer verlant wurde, diese Steuern und
die eventuell im Zusammenhang damit verhängten Strafen aufgrund
eines Ansuchensan die zuständigen Finanzbezirksdirektion
rückvergütet werden?
4. Ist der Herr Minister für Finanzen
gewillt, in diesem Erlaß auch die Unisatzsleuerbefreiung
der Hausschlachtungen, bei denen Teile des entfallenden Fleisches
direktan den Konsumenten abgegeben werden, klar auszusprechen
unterer Bedingung, daß die Fleischsteuer ordnungsmäßig
bezahlt, die Fleischbeschau durchgeführt und unter Vorlage
der die sibezüglichen Nachweise die Anmeldung beim zuständigen
Gern einde amte vor der Ausschrotung des Fleisches erfolgt und
das Fleisch zu einem uni 15% billigeren Preise, als der Durchschnittsladen,
preis beträgt, an die Konsumenten abgegeben wird?
5. Ist der Herr Minister für Landwirtschaft
geneigt, die vorstehenden bescheidenen Forderungen der Kleinlandwirtschaft
wärmstens zu befürworten, umsornchr, als ein pekuniärer
Ausfall für den Staat nicht zu befürchten ist, da die
Personalkosten der Gefällskontrollämter in allen diesen
Fällen ungleich höher sind als die hereinzubringenden
Stuerbeträge?
6. Ist der Herr Minister für Landwirtschaft
geneigt, zu veranlassen, daß die Einfuhr von fremden Vieh
in jenem Ausmaße gehalten wird, daß auch der Absatz
des heimischen. Viehs gesichert erscheint und nicht zu Selbstschachtungen
gegriffen werden muß?
7. Ist der Herr Minister für Landwirtschaft
geneigt, alles zu veranlassen, daß auch für die viehproduzierende
Gegenden mit geringem Eigenverbrauch, wie Böhmerwald, Slovakei
etc, eine hessere Absatzmöglichkeit durch Frachtbegünstigungen
u. dgl. geschaffen wird, da durch die Nichtverkäuflichkeit
des Schlachtviehes selbst zu den dortigen niedrigen Preisen von
2-5 Kè per Lebendgewicht, die Landwirtschaft dieser Gebiete
verschulden und zugrunde gehen muß.
8. Ist der Herr Minister für Landwirtschaft
geneigt, alles zu veranlassen, daß die Einhaltung der veterinärpolizeilichen
Vorschriften durch den Viehhandel, schärfstens kontrolliert
wird, da besonders durch den Fremdviehhandel der Ausbreitung aller
Tierseuchen Vorschuib geleistet, die heimische Landwirtschaft
schwer geschädigt und die Häufigkeit der Notschlachtungen
hervorgerufen wird.